Mehr wir, weniger ich! – Feier des Kassiansfestes in Brixen

Mit Francesco Villotti absolviert ein Seminarist der Diözese Bozen-Brixen sein propädeutisches Jahr bei uns im Münchener Priesterseminar. Seminarausbildung ist aber keine Einbahnstraße, sondern findet immer im Austausch statt. So hat der Brixener Regens Markus Moling uns Münchener eingeladen, das Fest der Brixener Diözesanpatrone, der heiligen Kassian und Vigilius, in der Südtiroler Bischofsstadt mitzufeiern.
Mit dem Ort Brixen verbindet sich eine tausend Jahre alte Geschichte des Glaubens und der Kultur des Alpenraums; die Bistümer Brixen und Freising hatten bis weit in die Neuzeit herein eine gemeinsame Grenze. So ist eine Reise nach Brixen immer auch eine Entdeckungsfahrt in die eigene Vergangenheit: Wie gestaltete sich weltliches und kirchliches Leben seit dem Mittelalter? Wie entwickelten sich Weltbild und Glaubensfragen weiter? Domdekan Ulrich Fistill ließ für uns im Brixener Münsterbezirk die Geschichte lebendig werden und führte uns kenntnisreich und höchst anschaulich durch Dom, Kreuzgang und die Johanneskapelle. In deren Kunstwerken von Weltrang lässt sich präzise studieren, wie sich die Kulturgeschichte über die Jahrhunderte hin entfaltete, gerade auch in der Begegnung von nordeuropäischer und italienischer Gedankenwelt und Kunst.
Doch Brixen ist nicht nur Vergangenheit, sondern auch eine lebendige Stadt mit ihren Herausforderungen: Richard Perr von der Brixener Vinzenzkonferenz führte uns an Orte, an denen die Vinzenzkonferenz Menschen in Not aktiv und diskret hilft: Das Dienstbotenhaus nimmt ältere Menschen in finanziellen Engpässen auf; in der höchst eindrucksvoll sortierten und bestens bestückten Kleiderkammer geben Ehrenamtliche Kleidung an Bedürftige aus, und auch die Schlangen vor der Lebensmittelausgabe werden in Brixen nicht kürzer, sondern länger. Die Kirche lebt mit den Menschen und für sie.
Ebenso lebendig gestaltete sich der Austausch mit den Brixener Seminaristen, die aus der Weltkirche stammen, und die uns an diesen Tagen begleiteten: Seminaristen aus Tansania und aus Indien nehmen die Herausforderung an, in Brixen deutsch zu lernen und zu studieren, um nach ihrer Priesterweihe für fünf Jahre in der Südtiroler Diözese Dienst zu tun und danach nach Hause zurück zu kehren. Die Welten sind andere, doch der Glaube ist derselbe: „Inkulturation ist nicht Assimilation“ – auf diesen Nenner bringt einer der Seminaristen seine Erfahrungen in Südtirol. Glauben ist keine Einbahnstraße. Rasch kommen die Münchener und die Brixener Seminaristen miteinander ins Gespräch; ein interkontinentaler Seminaristentag entwickelt sich im Kleinen.
„Wir leben nicht in der Vergangenheit, sondern im Heute.“ Bischof Ivo Muser ist als Hirte der Brixener Diözese für Gegenwart und Zukunft seiner Diözese verantwortlich und nimmt sich viel Zeit für die Begegnung mit den Seminaristen. Mit beeindruckender geistlicher Tiefe analysiert er die Besonderheiten der Diözese Brixen, die konsequent mehrsprachig arbeitet, um der deutschsprachigen, der italienischsprachigen und der ladinischen Bevölkerungsgruppe gerecht zu werden: „Sprache ist der Schlüssel“, so Bischof Ivo Muser. So hat die Diözese Bozen-Brixen in mehrerlei Hinsicht eine Brückenfunktion zwischen den Kulturen und Mentalitäten. Die Themen freilich sind übergreifend: Individualismus und Säkularisierung geben im italienischsprachigen Raum ebenso wie im deutschsprachigen Raum die Trends vor. Seine Aufgabe als Bischof? Die Einheit zu wahren. Bei allen berechtigten Eigeninteressen – Bischof Ivo Musers Botschaft ist: „Mehr Wir, weniger Ich!“ Ein positives Fundament der Einheit können wir als Kirche bieten: die Freude daran, katholisch zu sein – nicht im ausgrenzenden, sondern im einladenden Sinn.
Eindrucksvoll konnten wir das „Wir“ der Brixener Kirche schließlich bei der Feier des Kassianssonntags erleben, an dem sich die Südtiroler Volkskirche bei bestem Maiwetter prächtig präsentierte: Die festliche, dreisprachige Bischofsmesse, bei der Bischof Muser die bleibende Botschaft von Papst Franziskus als Pilger der Hoffnung in Erinnerung rief, bildete ein eindrucksvolles Glaubenszeugnis der Gläubigen. Die anschließende Kassiansprozession, bei der unter der Begleitung mehrerer Musikkapellen die Reliquien der Heiligen mitgetragen wurden, zeigte die Freude der Bevölkerung an Fest und Feier. Allenthalben war das „Wir“ zu spüren, von dem Bischof Muser gesprochen hat.
Was bleibt von unserem Besuch des Kassiansfestes in Brixen?
Zunächst einmal ein herzlicher Dank an Regens Markus Moling, an Spiritual Luca Cemin und die Brixener Seminaristen für die überwältigende Gastfreundschaft! Ein ebenso großer Dank gilt Bischof Ivo Muser für die Zeit, die er sich für uns genommen und die Ermutigung, die er uns mit auf den Weg gegeben hat.
Es bleiben schöne Eundrücke und bestärkende Gespräche, die für das Sommersemester wieder für geistige Motivation sorgen. Es bleibt aber auch die Gewissheit, dass wir den Austausch unter den Seminaristen fortsetzen sollen und werden, gerade auch über die Grenzen der Kulturen und Kontinente hinweg: Die Freude daran katholisch zu sein, hilft uns, im Dienst aller Menschen Brücken zu bauen. So freuen wir uns auf den Gegenbesuch der Brixener Seminargemeinschaft in München!










