In Geist und Wahrheit anbeten – Zum Kirchweihfest der Seminarkirche
Am 6. November 1983 wurden von Erzbischof Friedrich Wetter das neu errichtete Priesterseminar gesegnet und die Seminarkirche geweiht. So ist der 6. November unser Kirchweihtag; an ihm findet zugleich die Ewige Anbetung statt.
Eines der Evangelien, die zum Kirchweihfest zur Auswahl angeboten werden, ist ein Ausschnitt aus dem Gespräch Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen aus dem 4. Kapitel des Johannesevangeliums. Eine zentrale Passage dort lautet, dass der Vater „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4,24) angebetet werden will. Welchen „Geist“, welche „Wahrheit“ strahlt die Kirche des Münchener Priesterseminars aus?
Der Bau selbst wirkt eher gedrungen und spröde. Nur wenige Fenster lassen farbiges Licht ein, das für besondere Akzente sorgt. Doch gerade diese Lichtführung bietet den großen Mehrwert, und zwar dann, wenn man sich immer wieder in der Kirche aufhält, wie dies Seminaristen, Schwestern und Priester des Hauses gemeinhin tun: Beim ersten Morgenschimmer heben sich die Konturen der Paradiesesströme oder der Hand Gottes von den noch nachtdunklen Fenstern ab, und langsam, aber sehr eindrücklich wird sichtbar, was sie zeigen: das Erlösungswerk Gottes. Auch im Laufe des Jahres sorgen die unterschiedlichen Sonnenstände für immer wieder wechselnde Effekte am Fußboden, an den Wänden oder rund um die Marienfigur. So bietet der Winter prächtige Farbverläufe über Fußboden und Bänke; ein schöner Sommerabend verziert die Marienfigur mit tänzelnden Flammen in blau, weiß und rot.
„Geist und Wahrheit“ der Gestalt unserer Seminarkirche sind also eher sekundäre Eindrücke: Sie erschließen sich nicht sofort. Damit passen sie sowohl zu den Texten der Offenbarung des Johannes, die sich in den Bildhauerarbeiten der Seminarkirche zeigen, als auch zum erwähnten Evangelium von der Begegnung am Jakobsbrunnen: Die Begegnung ist sekundär. Die Frau erkennt Jesus nicht sogleich, sondern muss erst langsam erschließen, wer er ist: ein Prophet, der Herr, der Retter der Welt. Nicht ohne Grund erkennen die Kirchenväter in der Frau die ganze Kirche selbst, die immer wieder neu lernen muss, wer Jesus Christus ist.
Sind „Geist und Wahrheit“ in der Gestaltung der Seminarkirche nur Zufall? Wohl kaum. Eine echte Berufung zum Priestertum ist oft genug spröde. Sie geschieht nur langsam, schrittweise, phasenweise. Sie braucht verschiedene Anläufe und das beharrliche Bleiben und Wiederkommen, bis sie wirklich reift und zur Erfüllung kommt. „Geist und Wahrheit“ der Berufung zum Priestertum bestehen in der Beständigkeit und Beharrlichkeit, im schrittweisen Entdecken der Beziehung zu Jesus Christus als dem, der zum priesterlichen Dienst einlädt.
So ist die Seminarkirche mit gutem Grund kein Raum, der auf den ersten Blick für optische Aha-Effekte sorgt, sondern sie ist ein Ort zum Wiederkommen. Ein Ort, an dem Berufung in all ihrer Nüchternheit und Ehrlichkeit wachsen kann.