Erstellt am 7. April 2023 von Bernhard Stürber

Das Exsultet der Osternacht

Detail aus der Barberini-Exultetrolle, um 1058

Im Jahre 384 bat ein Diakon namens Praesidius aus Piacenza den Hl. Hieronymus, damals Sekretär des Papstes Damasus I., ein Lob auf die Osterkerze verfassen zu dürfen. Hieronymus, ein radikaler Asket, lehnte die Bitte ab. Er war der Meinung, dass überschwängliche Lobreden auf Wiesen, Bienen, Blüten und die Verwendung von Wachskerzen überhaupt nicht zur Feier des Osterfestes passen. Diese Korrespondenz ist das älteste Zeugnis für die Existenz einer österlichen Lichtdanksagung und den Gebrauch einer Osterkerze. Der Hl. Augustinus kannte diesen Brauch und war ihm gegenüber offenbar deutlich positiver eingestellt. So erwähnt er einmal beiläufig, er habe ein Lob der Osterkerze in Gedichtform verfasst. Seit dieser Zeit, also um die Wende vom vierten zum fünften Jahrhundert, erklingt an Ostern diese feierliche Festansage, nach deren Anfangswort „Exsultet“, wörtlich „Es jauchze“, benannt. Die historische Schreibweise lässt übrigens das „s“ weg: Exultet.

Aus dem 1. Jahrtausend sind acht Texte für das Exsultet überliefert, die in Oberitalien und vermutlich in Südfrankreich entstanden sind. Die älteste Fassung hat sich schließlich durchgesetzt. Das Exsultet gehört somit zu den ältesten Texten der Liturgie und ist für viele Gläubige ein Highlight des Kirchenjahres, zumal es nur einmal im Jahr ertönt: in der Osternacht. Einen größeren Anlass zu feiern gibt es nicht. Daher rührt auch der Überschwang dieses Festgesangs, der das Leben besingt, das stärker ist als der Tod. Bildreich erklingt, was in dieser Nacht aller Nächte Staunenswertes geschieht: „O wahrhaft selige Nacht, die Himmel und Erde versöhnt, die Gott und Menschen verbindet!“

In der Osternacht wird der Übergang vom Tod zum Leben mit einem besonderen Aufwand inszeniert. Sie beginnt mit einer Lichtfeier, die eröffnet wird mit dem Entzünden des Feuers: ein erster Einspruch gegen die Nacht und gegen die Kälte. Das Exultet nimmt darauf Bezug: „Dies ist die Nacht, von der geschrieben steht: Die Nacht wird hell wie der Tag, wie strahlendes Licht wird die Nacht mich umgeben.“ Am Osterfeuer wird die große Osterkerze mit einer Segnung für ihren Dienst vorbereitet und am Feuer entzündet. Hinter der brennenden Osterkerze zieht die liturgische Prozession sodann in die dunkle Kirche hinein und beantwortet den Ruf „Lumen Christi“ – „Christus, das Licht“ mit „Deo gratias“ – „Dank sei Gott“. Er, der von sich sagt „Ich bin das Licht der Welt“ und der alles Dunkel der Welt erhellt hat, ist da! Was könnte man darauf anderes antworten als „Deo gratias“?

Nachdem die Osterkerze auf dem großen Leuchter ihren Platz gefunden hat und als Christussymbol mit Weihrauch verehrt wird, stimmt der Diakon, notfalls auch ein Priester,

ein Kantor oder eine Kantorin, als Höhepunkt der Lichtfeier das „Lob der Kerze“ an, lat. „laus cerei“, wie das Exsultet auch bezeichnet wird. Das Vorangegangene wird aufgegriffen, gedeutet und weitergeführt. Wie der Engel am Grab den Frauen, so kündet der Diakon als österlicher Herold dem Gottesvolk die Frohe Botschaft vom neuen Licht.

Alle menschlichen Grenzen lässt dieser Lobpreis hinter sich. Die Kerze, das Wachs, selbst die Bienen, die es bereitet haben, werden in überschwänglicher Freude gepriesen. Gottes Erlösung ist wahrhaft Verwandlung der Welt. So wird das Osterlob zum Lob der ganzen Schöpfung. Nichts und niemand soll in dieser Nacht am Rande stehen, denn sie ist Vorahnung des ewigen Ostern, in dem die ganze Schöpfung ihr letztes Ziel erreicht: das Lob dessen, der dann für immer „alles in allem“ sein wird.

Seiner Form nach ist das Osterlob ein erweitertes Hochgebet und damit verwandt mit den Hochgebetstexten der Eucharistiefeier und anderen zentralen Gebetstexten sakramentlicher Liturgie. In einem Prolog, eingeleitet von der initialen Aufforderung „Exsultet“ – „Frohlocket“ – werden die Mächte des Himmel und der Erde aufgerufen, Christus als den Sieger zu preisen. Daraufhin bittet der vortragende Diakon um das Gebet der Gläubigen für die Erfüllung seiner Aufgabe als Vorsänger. Weiter geht es nach einem Dialog mit der Gemeinde, wie er auch im Hochgebet am Beginn der Präfation steht, mit der Erinnerung an die heilgeschichtlichen Taten Gottes am Volk Israel. Dabei ist auffällig, dass in fünf mit den Worten „Dies ist die Nacht“ eingeleiteten Sätzen auf die Bedeutung des Pessach-Festes verwiesen wird, an das die Osternacht anschließt und in der es seine Erfüllung findet: „Dies ist die Nacht, die unsere Väter, die Söhne Israels aus Ägypten befreit.“ Das Exsultet deutet den Kreuzestod Jesu als Erfüllung dieses jüdischen Festes: „Gekommen ist das heilige Osterfest, an dem das wahre Lamm geschlachtet ward, dessen Blut die Türen der Gläubigen heiligt.“

Die ebenfalls fünf sich anschließenden O-Rufe deuten den Erlösungstod Jesu in scheinbar widersprüchlichen Aussagen: „O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam, du wurdest uns zum Segen“ und „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast Du gefunden“. Mit dem theologischen Motiv des „wunderbaren Tauschs“ macht das Exsultet deutlich, dass allein die Gnade Gottes und nicht der Verdienst des Menschen die Welt erlösen konnten. In diesen Aussagen zum Heilshandeln

Gottes zeigen sich deutliche Spuren der Erlösungslehre des Hl. Ambrosius von Mailand, weshalb die Entstehung des Textes immer wieder im Umfeld des Kirchenvaters vermutet wird.

Anschließend bringt der Diakon die Osterkerze Gott dar: „Nimm diese Kerze entgegen als unsere festliche Gabe.“ Die folgenden Verse gehen vom Lob der Osternacht und Gottes Handeln zum Lob der Osterkerze über, die als Symbol für den auferstandenen Christus gedeutet wird. Dabei finden auch die fleißigen Bienen Erwähnung, die das Material für die Kerze geliefert haben.

Zum Abschluss des Exsultet bittet der Diakon darum, dass das Licht der Osterkerze leuchte, „um in dieser Nacht das Dunkel zu vertreiben“. Er richtet den Blick zudem auf die Wiederkunft Christi, bis zu dessen Erscheinen die Flamme der Osterkerze leuchten möge. So spannt das Osterlob den Bogen von der Erinnerung an das Heilshandeln Gottes am Volk Israel hin zum Ausblick auf die endgültige, noch ausstehende Vereinigung der Gläubigen mit Gott, die sich von Jesus Christus erlöst wissen und dies an Ostern feiern. Oder wie es das Exsultet in poetischer Sprache ausdrückt: „Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe als Sieger emporstieg.“

Jubelnde und preisende Theologie ertönt da vom Ambo aus im Schein der Osterkerze. In immer neuen Worten wird von der Freude über die „selige Nacht“ gesungen, in der Gott seine großen Taten wirkt, über die Befreiung von der alten Schuld, über das neue Leben und die Erfüllung aller Verheißungen des Herrn. Die Gläubigen halten während des Exsultet brennende Kerzen in ihren Händen, die an der Osterkerze entzündet wurden. Sie alle haben Anteil am Licht der Auferstehung, am österlichen Leben bei Gott. Dieses Zeichen wird zur Einheit mit dem, was im Exultet proklamiert wird. Schließlich soll das Unfassbare, das Ostern verheißt, in dieser Fülle der Bilder und Emotionen erahnt werden können.

Als Steigerung der Fülle und des Überschwangs trat zur Verkündigung des Osterlobs in Wort und Ton zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert vor allem in Süditalien eine besondere bildhafte Inszenierung des Exsultet. Man schuf Exsultet-Rollen. Obwohl die Zeit der Buchrollen seit dem 4. Jahrhundert längst vorbei war, griff man auf diese alte Form zurück. Grund dafür dürfte das Bedürfnis nach größtmögliher Sinnenhaftigkeit gewesen sein. Auf den Rollen war nicht nur der Text mit den Tonzeichen aufgeschrieben, sondern die entsprechenden Textpassagen waren zusätzlich mit Bildern illustriert. Die Bilder standen auf dem Kopf, damit sie die Gläubigen in der richtigen Richtung betrachten konnten, wenn während des vorgetragenen Gesanges die Rolle entrollt wird. Diese Exsultet-Rollen hatten eine beträchtliche Länge. Es wäre eine lohnende Aufgabe für künstlerisch begabte Gemeindemitglieder, eine moderne Exsultet-Rolle zu gestalten.

Das Exsultet möge uns mit seinem Jubel und mit seinem Glanz auch an diesem Osterfest wieder ergreifen und uns in unserer Auferstehungshoffnung bestärken!

 

Bild: Detail aus der Barberini-Exultetrolle. Abtei von Montecassino (Italien) — um 1058; im Auftrag von Abt Desiderius (1058–1087) von Montecassino: Ein romanischer Kunstschatz zum Lobgesang der Ostermesse und eine der letzten hergestellten Schriftrollen. Diese seltene Schriftrolle gehört zu den schönsten illuminierten Handschriften der Romanik.

Detail aus der Barberini-Exultetrolle, um 1058