Erstellt am 30. April 2021 von Sebastian König und Christopher Dargel

Wie sitzen Sie gerade auf Ihrem Stuhl? – Bericht aus dem Krankenhausseelsorgepraktikum vom 8.-31. März 2021

Wir beginnen mit einer ersten Runde: Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, sind eingeladen, den Blick auf ihre aktuelle Gefühlslage zu lenken. Der Artikel, den Sie gerade lesen wollen, der kommt danach.

Wie geht es Ihnen? Was haben Sie heute erlebt? Wie würden Sie Ihre Gefühlslage in Worte fassen? Dass es Ihnen „gut“ oder „schlecht“ geht, reicht nicht als Antwort und ist ja schon eine Bewertung… versuchen Sie, bei einer wertfreien Beschreibung zu bleiben und möglichst knapp zu formulieren, wie Sie sich fühlen. Wenn Sie gar nicht weiter wissen, hier eine Hilfe: Die meisten Gefühle lassen sich (je nach wissenschaftlicher Schule sind es mehr oder weniger) sieben Grundgefühlen zuordnen: Freude, Trauer, Liebe, Schmerz, Angst, Ekel und Scham. Irgendetwas davon oder vieles davon gleichzeitig wird in Ihnen vorgehen.

Gut, das war’s fürs Erste. Vielleicht fragen Sie sich schon längst, was der Gefühlskram hier soll. Oder was wir da von Ihnen gerade wollen, da Sie ja eigentlich nur einen Artikel lesen wollten. Damit sind wir schon mitten im Praktikum! Natürlich geht es um die kranken Patienten im Krankenhaus Großhadern und die seelsorglichen Gespräche mit ihnen auf Station. Das war auch uns im Vorhinein klar. Wovon wir aber überrascht sind und was vielleicht sogar noch mehr in uns arbeitet, ist die Beschäftigung mit dem Subjekt dieses Praktikums. Das sind wir, Christopher Dargel und Sebastian König. Wie es schon in den ersten Vorbereitungstagen von unseren Anleitern auf den Punkt gebracht wurde, sind wir das „Instrument“ der Seelsorge. Deshalb beginnen wir unsere Nachbesprechungen, theoretischen Einheiten und Gruppenarbeiten stets mit einer „ersten Runde“. Das kann nervig sein oder überflüssig erscheinen. Doch mit jedem Tag mehr im Praktikum wird uns bewusst, welchen Einfluss ein Bewusstsein des eigenen Innenlebens im seelsorglichen Gespräch spielt. Da ist einerseits die Patientin oder der Patient, aber eben auch die Seelsorgerin oder der Seelsorger. Umso mehr ihr oder ihm verfügbar ist, was er im Moment des Gesprächs fühlt und denkt, umso besser kann er auf dieses eingehen. Ist er gestresst, weil Zeitdruck da ist? Fühlt er sich anders beim Rausgehen als beim Reingehen in das Patientenzimmer und hat Gefühle „mitgenommen“? Spielt sich das Gespräch vielleicht auf Kopfebene ab, während die Gefühlsebene mal zur Sprache kommen könnte? Wo sind Grenzen an Kapazität und emotionaler Belastbarkeit, so dass man sich schützen muss?

Das Krankenhaus ist ein ‚Ort der Schwere‘. Hier stürzt auf einen jungen (und gesunden) Menschen eine ganze Menge Schmerz und Leid ein. Es ist kaum verwunderlich, dass viele nach getaner Arbeit diesen Ort so schnell wie möglich verlassen möchten. Uns ging es an manchen Tagen auch so. Es ist ganz schön anstrengend, Krankheits- aber auch Lebensgeschichten an sich ranzulassen, sie ‚mitzutragen‘, vor allem wenn sie die das eigene Gottesbild anfragen. „Warum muss ich sterben?“ – So fragte einmal ein Mann während eines Krankenbesuchs. Es ist eine simple Frage, die sich aber mit allem theoretischen Wissen, das man während des Theologiestudiums erwirbt, nicht wirklich lösen kann. Bereits mit dem ersten Tag auf Station wurde klar: Der Seelsorger ist (in der Regel) nicht dazu da, um mit Patienten zu argumentieren und zu fachsimpeln, sondern um ihnen zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen, Impulse zu setzen, zu beten und zu lieben.

Sich auf diese ‚Arbeit‘, ja diesen ‚Dienst‘ einzulassen, war wie gesagt kräftezehrend! Deshalb ist eine weitere Frucht dieser Wochen die wir im Krankenhaus verbrachten, ganz sicher der gewachsene Respekt vor allen Menschen die in der Medizin und Pflege arbeiten. Es war auch ermutigend zu sehen, wie viele Menschen sich über unerwarteten Besuch freuen. Oft genug erfährt man bei Straßenmissionsaktionen Ablehnung, ja sogar offene Feindseligkeit. Solche Momente waren im Krankenhaus eher selten. Selbst jene Patienten die unser Gesprächsangebot ablehnten, waren höflich und dankbar. Das lag wohl auch daran, dass während der Corona-Pandemie die Patienten keinerlei Besuche von Verwandten oder Freunden empfangen durften. Das Bedürfnis nach menschlichem Kontakt war deshalb sehr präsent. Man konnte es wirklich spüren: Bei all den technischen Möglichkeiten (Handy, Zoom und Co.) ist der Auftrag Jesu, Kranke zu besuchen, noch immer brandaktuell! So herausfordernd das Krankenhausseelsorgepraktikum streckenweise auch war, so machte es auch immer wieder Freude und gab uns die Zuversicht: Seelsorge braucht’s – auch heute!