Erstellt am 25. Oktober 2021 von Redaktion

Erinnerung, Hochglanz und das Leben als Minderheit – Seminarfahrt nach Ostdeutschland

Die Seminarfahrt führte uns im September in den östlichen Teil unseres Landes. Hier sind nicht nur besondere Momente, Personen und Ereignisse der deutschen Geschichte beheimatet, sondern auch das Leben der Katholiken hat hier eine eigene Prägung. So gehört es zum Normalzustand für die katholische Kirche, dass sie eine kleine Minderheit darstellt. Mit Sorge warnen Verantwortungsträger der Kirche in volkskirchlichen Gegenden vor der Rückentwicklung der Kirche zu einer kleinen Minderheit. Aber was passiert, wenn dies kein Schreckensszenario ist, sondern die normale Wirklichkeit? Lässt sich das überhaupt mit der kirchlichen Situation in Bayern vergleichen? Um diese Frage zu beantworten und um etwas vom kulturellen Leben unseres Landes mitzunehmen, haben wir uns nach Sachsen, Thüringen und Brandenburg aufgemacht. 

Mödlareuth 

Die meisten Seminaristen waren noch nicht geborgen als sich 1989 die Mauer öffnete und es ein Jahr darauf zur deutschen Wiedervereinigung kam, geschweige denn, dass es eigene Erinnerungen an die deutsche Teilung gäbe. Daher standen neben den persönlichen Gesprächen mit Zeitzeugen zur schwierigen Situation der Christen in der DDR auch Orte deutscher-deutscher Geschichte auf unserer Reise. In Mödlareuth verlief die innerdeutsche Grenze mitten durch den Ort, da diese mit Wachtürmen, Mauer und Stacheldraht befestigt war, trug das Dörfchen den Beinamen „little Berlin“. Heute befindet sich dort ein Freiluftmuseum mit erhaltenen Grenzanlagen, das uns einen Eindruck vermittelte, wie Ortsteile und Familien über 30 Jahre lang getrennt waren. Die Grenzanlagen ließen uns erahnen mit welchem Nachdruck die DDR-Regierung ihre Bürger bewachte. Der Besuch der Gedenkstätten in den ehemaligen Stasi-Gefängnissen in Dresden und Bautzen zeigte uns, dass es nicht bei der Bewachung der Grenzen blieb, sondern Überwachung und Bespitzelung beinahe allgegenwertig in der DDR waren. 

Leipzig 

Am Vorabend in Leipzig angekommen prägte den Aufenthalt vormittags zunächst die Katholische Propstei St. Trinitatis, eine herausragende kirchengemeindliche Oase in der Innenstadt. Nach der morgendlichen Eucharistiefeier führte uns Propst Gregor Giele durch den modernen Kirchenbau, der sich durch helles Licht und kunstvolle Ornamentik auszeichnet. Kunst und Baukörper bilden in der 2015 eingeweihten schnörkellosen Kirche eine Einheit. Anschließend konnten wir mit dem Propst und einer Sr. Elisabeth von den Missionarinnen Christi über die missionarische, pastorale Arbeit der lebendigen Zentral-Pfarrei in der sächsischen Metropole sprechen. Gegen alle Trends ist die Propstei in der gegenüber dem Glauben indifferenten ostdeutschen Gesellschaft eine wachsende junge Gemeinde von etwa 5.000 Mitgliedern. 

Nachmittags besichtigten wir die ehemalige Leipziger Baumwollspinnerei mit einer Führung zu deren Entwicklungskonzept und Geschichte sowie durch die zeitgenössischen Kunst-Galerien in dem ursprünglichen Industriegebäude. 

Abends konnten wir die pastoralen Eindrücke und die kulturelle Vielfalt bei regionaler Küche austauschen und nachklingen lassen, bevor es am nächsten Tag frühmorgens nach Neuzelle ging.  

Neuzelle 

Auf dem Weg von Leipzig nach Dresden machten wir einen kleinen Abstecher, von 200km, ins Zisterzienserpriorat Neuzelle.  Empfangen wurden wir von P. Alberich Maria Fritsche OCist. Nach der geistigen Stärkung in der Mittagshore und der leiblichen Stärkung beim Mittagessen, lernten wir die Geschichte des schon seit 1268 bestehenden Klosters kennen. Besonders erschreckend empfanden wir die Spuren, die die Säkularisierung und die folgenden Zeitabschnitte des Nationalsozialismus und der DDR hinterlassen haben: Das religiöse Leben, das über lange Zeit präsent war, ist nahezu aus der Gesellschaft verschwunden. Das klösterliche Leben ist erst 2018 mit der Errichtung des Priorats des Stiftes Heiligenkreuz mit sechs Mönchen zurückgekehrt. In einem gemütlichen Austausch erfuhren wir über Schönes, wie den Neubau und das Leben in kleiner Gemeinschaft, aber auch über die Herausforderungen, wie die Etablierung des klösterlichen Lebens in einem nicht als Kloster angelegtem Gebäude. 

Dresden 

Die ersten Eindrücke von Dresden waren vielversprechend, gleichwohl die Altstadt bei unserer späten Ankunft, schon in ein abendliches Dämmerlicht getaucht war. Scheinwerfer gaben die Sicht frei auf massive Gebäude mit Barockfassaden aus mehrfarbigem Sandstein. Über schmale Straßen aus grobem Granitsteinpflaster, gelangten wir ins Herz der Stadt, wo wir am Fuße der Frauenkirche unter freiem Himmel eine warme Mahlzeit zu uns nahmen. Die Spuren der einstigen Verwüstung, die 1945 im Zuge eines Luftwaffenangriffs der Alliierten über die Stadt hereinbrach, schienen wie ungeschehen gemacht und doch vermochte das Barocke Kleid nicht gänzlich darüber hinwegzutäuschen:  Neuere Sandsteine, moderne Doppelglasfenster und makellose Stuckarbeiten gaben Zeugnis von einer Rundumsanierung des Stadtbildes. Weitgehend Originale mit hohem kunstgeschichtlichem Wert fanden sich aber im Dresdner Residenzschloss. Die Museumssammlung der einstigen Schatzkammer der Wettiner Fürsten eröffnete den Blick auf zahlreiche repräsentative Einrichtungsgegenstände aus der Renaissance und des Klassizismus. Beim Anblick der glänzenden Diamantanhänger, der goldenen Spieluhren, der Figuren aus Elfenbein und Marmor mischte sich zur üblichen Verwunderung und Belustigung andächtiges Staunen. Wer die Gemäldegalerie Alter Meister im Dresdner Zwinger besuchte, erlebte eine Vielzahl an Gemälden italienischer, aber auch holländischer und flämischer Maler. Realistische Proportionen, die Kunst, echte Individuen abzubilden, deren Gesichter von den sozialen, politischen, religiösen, Verfassungen des Menschen Kunde geben, zeugen von der hervorragenden Handwerkskunst der Kunstschaffenden. Neben diesen angenehmen Eindrücken bot die Stadt aber auch die Gelegenheit der Erinnerung an die Zeit der DDR Führung und der darunter leidenden Bevölkerung Ostdeutschlands. Die Gedenkstätte Bautzener Straße, diente einst als Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit. Dort wurden vorwiegend des Landesverrats Verdächtigte auf grausame Art und Weise gefoltert und nicht selten zu Tode gebracht. Es erschüttert noch heute und ist ein bleibendes Mahnmal gegen ungerechte Staatsgewalt, Unterdrückung und Missachtung der Meinungsfreiheit.  

Wie ist die katholische Kirche in Ostdeutschland geworden? Wie gelingt angesichts der katholischen Minderheit Mission? Mit diesen Fragen wandten wir uns an unserem letzten Abend in Dresden an Dompfarrer Norbert Büchner. Die friedliche, unbeschwerte Atmosphäre, der gedeckte Tisch, die Frankfurter Würstchen mit Kartoffelsalat, das frisch renovierte Haus der Kathedrale mit seinen duftenden Holzböden schienen unwirklich, als Büchner von den beklemmenden DDR-Jahren erzählte: Als Junge sei ihm zunächst das Abitur von staatlicher Seite verweigert worden, beginnt der Dompfarrer nachdenklich, denn er sei in der heimatlichen Jungschar aktiv gewesen. Von solcherlei Repressionen oder von anderen Fällen der staatlich organisierten Bespitzelung oder Verhaftungen von Personen, welche ohne Nachweise der Regierungsfeindlichkeit verdächtigt wurden, wusste Büchner aus erster Hand zu berichten. „Die Kirche bildete einen der wenigen Orte, wo Menschen noch von ihrer Redefreiheit Gebrauch machen konnten.“ Die gesellschaftlichen, politischen und sozialen Umstände ließen die Menschen in den christlichen Gemeinden zusammenrücken, sie bildeten Orte der Vertraulichkeit. Büchner berichte ebenso von dem Kaplan seiner Heimat, durch den Jugendliche, wie er selbst, Zugang zu westlicher Literatur erhielten, die im Osten Schülern unzugänglich blieb. Büchner grinste: „Jetzt hat der alte Mann wieder vom Krieg erzählt“, so witzelte er abschließend. Was fängt die Kirche mit diesen Erfahrungen an, wie kann zukünftig Kirche wachsen? Obwohl sich der Osten vom Westen und Süden Deutschlands in den pastoralen Fragen unterscheiden mag, so könnten sich die Diözesen im gegenseitigen Austausch neu inspirieren, glaubt Büchner. Für das Bistum Dresden-Meißen, besonders für die Dompfarrei gilt jedenfalls: An einer interkonfessionellen Vernetzung der kirchlichen Angebote werde aktuell verstärkt gearbeitet, was zumal als eine missionarische Aufgabe verstanden wird, zumal aber auch als ein ökumenisches Projekt gelten kann.  

Wechselburg 

Der Rückweg nach München führte uns zum Kloster Wechselburg. Zwischen Dresden und Chemnitz gelegen, ist das Benediktinerkloster ein Ableger des Klosters Ettal. Hier feierten wir gemeinsam den Sonntag, geprägt von der gemeinsamen Messe unter dem Vorsitz von P. Maurus OSB. Das Kloster Wechselburg liegt inmitten einer riesigen Pfarrei, die praktisch den gesamten Raum zwischen den Städten Chemnitz und Dresden einnimmt. Dabei ist das Kloster eine Art Oase in diesem Pastoralraum; ein Zentrum, um sich nicht in der Weite des Gebiets zu verlieren. Hier ist ein Ort, an dem Gläubige immer wieder zusammenkommen, Gruppen sich treffen, Priester einige Tage einkehren. P. Maurus erzählt uns davon, wie bis vor kurzer Zeit in der Pfarrseelsorge noch das Ideal vorherrschte, am Sonntag möglichst in jeder Ortschaft zu sein und überall gleichzeitig die Messe zu feiern. Das Ergebnis war jedoch, dass die Priester und die weiteren Seelsorge gar keine Zeit mehr für die Gemeinden hatten. Also entschied man sich, dass sich ein Priester einen ganzen Tag für jede Gemeinde Zeit nimmt. Dort wird dann zusammen die hl. Messe gefeiert, das Sakrament der Taufe gespendet, Gruppen treffen sich, Absprachen werden vor Ort getroffen, Kranke besucht. Es ist der Schritt weg von der Idee (oder Illusion), dass man trotz des weiten Gebietes, der wenigen Priester und der kleinen Gemeinden so tun könnte, als ob jede Gemeinde eine Einzelpfarrei sei. Die Priester sind dann zwar immer noch Reisende in ihren Pfarreien, aber keine Rennfahrer mehr. Ein Reisender nimmt sich Zeit für die Orte und Menschen, bei denen er verweilt. Es ist zwar nicht das klassische Bild einer Pfarrgemeinde. Aber doch eine Möglichkeit mit den Umständen unserer Zeit Seelsorge zu betreiben und nicht nur einen Pastoralkonzern zu führen. 

 

Gestärkt durch das Mittagessen in Wechselburg, durch viele Eindrücke, Ideen und Hinweise machen wir uns wieder auf den Weg zurück nach München. 

 

Martin Brenninger, Christan Elsen, Florian Florack, Philipp Gartlehner, Subregens Dr. Benjamin Bihl