Erstellt am 26. April 2021 von Sebastian König

Einen guten Hirten – brauchen wir den?

Vielleicht hat der eine oder die andere noch nette Darstellungen von Jesus als guten Hirten aus dem Kindergarten oder der Grundschule vor Augen. So mit Stab, ein Schäfchen auf der Schulter, freundliches Lächeln und das Ganze auf einer saftig grünen Wiese. Zum Ausschneiden und ins Heft einkleben… Jetzt aber im Erwachsenenalter kommt ihm oder ihr beim Gedanken an den guten Hirten als erste gefühlte Assoziation höchstens die Nostalgie nach der Kindheit hoch, wo man noch glaubte, dass Jesus für alle gut sorgt. Denn angesichts der vielen Missbrauchsskandale in unserer Kirche, einer immer länger werdenden Corona-Krise sowie den politischen und innerkirchlichen Zerwürfnissen fragt man sich heute: Wo ist er, der gute Hirte? Wir fühlen uns viel mehr wie eine zerstreute Herde, wirr umherlaufend, ohne klare Perspektive und Vision.

Durch die Taufe haben wir mit der Hoffnung und der Liebe den Glauben als eine der drei göttlichen Tugenden geschenkt bekommen. Wir können den Glauben ja nicht selbst machen, alleine schon die Sehnsucht nach Gott ist seinem Wirken zuzuschreiben. Im Glauben aber standhaft zu bleiben, mit seinem eigenen Verstand und Willen Ja zu Gott und seiner Offenbarung zu sagen, das bleibt eine tägliche Entscheidung. Mit einem freien Willen und der Fähigkeit zu eigenständigem Denken ausgestattet ist der Glaubensweg für den Menschen kein Automatismus. Den ständig neuen und oft auch geprüften Glaubensakt kann einem niemand abnehmen, auch Gott nicht. Sicherlich hängt es von der je eigenen Prägung zu Hause und von anderen Faktoren ab, ob man mehr oder weniger Glauben „aufgesaugt“ hat. Doch unabhängig der eigenen Prägung steht letztlich jeder vor der Wahl, ob er glaubend oder zweifelnd seinen Weg geht. Damit ist nicht gemeint, dass es entweder Glaubende oder Zweifelnde gibt. Sondern, ob wir den aufkommenden Zweifel kultivieren und uns auf seine Seite schlagen, oder ob wir trotz und in Allem den Glauben wagen. Wie es schon im Hebräerbrief ermutigend heißt: „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ (Hebr 11,1)

Konkret bedeutet dies am Sonntag des Guten Hirten, wirklich an Seine Führung zu glauben. Ganz tief drin zu vertrauen, dass der Herr da ist, mit der Menschheit und besonders mit Seiner Kirche geht und uns nicht verlässt, wenn es schwierig wird. „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht“ (Ps 23). Wir sind außerdem in der persönlichen Beziehung zu Christus eingeladen, dankend anzunehmen, dass Er um mich persönlich kämpft, wenn ich mich von Ihm entferne und mehr dem verlorenen Schaf gleiche als einem treuen Jünger. Das alles mag unserem Autonomiestreben erst einmal sehr unangenehm und vielleicht naiv vorkommen. Außerdem sind wir so schnell geneigt, kluge Rezepte selber zu kreieren, ohne davor den demütigen Schritt zu wagen, erst einmal Gottes Stimme Raum zu geben und auf diese auch zu hören. Nur, weil wir heute so viel können, heißt das noch lange nicht, dass wir wissen, was wirklich gut ist und zu einem Leben in Fülle (Joh 10,10) führt. Das betrifft unseren eigenen Lebens-und Berufungsweg bis hinein in alltäglichste Entscheidungen. Das betrifft uns aber auch als Gemeinschaft der Kirche, besonders momentan in Deutschland. Gewiss möchte Gott Seine Kirche zu einem strahlenden Zeugnis der Liebe Gottes erneuern. Es scheint aber, dass wir das in einem wortreichen Aktionismus mit schnell zu treffenden Weichenstellungen aus eigener Kraft bewirken wollen. Im Stimmengewirr der Theologen, Foren, Sitzungen und öffentlichen Statements von Amtsträgern ist selten die Rede von Gott, dafür aber umso mehr von den bekannten Reizthemen. So wichtig sie seien mögen, sie sind doch sekundär. An erster Stelle sollte sich unser Suchen und  Ringen um Gott drehen, um die Erkenntnis Seines Wesens, Seines Wirkens und Seines oft auch anspruchsvollen Weges der Jüngerschaft. Jesus steht als guter Hirte vor uns, der aus allem etwas Gutes machen kann, auch aus schwerer Schuld und vielen Problemen. Er sagt uns zu, dass wir Seine Stimme kennen! (Joh 10,3.14) Nichts geht uns verloren, wenn wir uns Ihm ganz anvertrauen. Er sagt von sich, was er später am Kreuz vollbringen wird: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11).