Erstellt am 15. November 2021 von Subregens Dr. Benjamin Bihl

Das Fegefeuer – ein katholischer Blick über den Tod hinaus

Liturgisch beginnt der Monat November voller Optimismus. An Allerheiligen gedenkt die Kirche aller Menschen, die bereits vor Gottes Angesicht leben und die Vollkommenheit erreicht haben. Es ist die tiefe Überzeugung, die sich hier Bahn bricht, dass dies viel mehr Menschen sind als jene, die wir im liturgischen Kalender als Heilige aufzählen und deren Gedenktage das Jahr über gefeiert werden. Der 2. November richtet dann den Blick auf die Gräber und die Toten, deren wir uns noch erinnern und die wir in Erinnerung behalten wollen. Dieser Blick richtet sich bei uns im Haus auf jene Priester, die hier studiert haben und bereits gestorben sind. Der Blick richtet sich aber auch auf verstorbene Angehörige der Hausbewohner. Natürlich gilt dieser erinnerte Blick auch für jene, die hier gearbeitet haben und gestorben sind.

Der Blick auf die Gräber mit Optimismus, mit Trauer, mit Hoffnung und vielem mehr setzt sich den ganzen Monat fort. Mit dem evangelischen Totensonntag und dem staatlichen Volkstrauertag im November wird diese Prägung weit über die Grenzen der katholischen Kirche sichtbar und erfahrbar. Immer wieder fällt dabei in den katholischen Gottesdiensten das fürbittende Gebet für die Verstorbenen auf. Sei es nun bei der Andacht am Friedhof an Allerheiligen und Allerseelen oder bei den Fürbitten in den Messen oder bei der Vesper. Das Gebet für die Verstorbenen ist meist verbunden mit der Bitte, dass sie Gott in seine Herrlichkeit aufnimmt. Wenn sie allerdings gestorben sind und wohl noch nicht im Himmel sind; was ist dann mit ihnen?

Die Antwort auf diese Frage führt auf eine ganz spezielle katholische Sicht auf die Zeit nach dem Tod. Im Volksmund ist dieser Gedanke unter dem Namen „Fegefeuer“ bekannt, im lateinischen Original ist vom Purgatorium – dem Reinigungsort – die Rede. In Barockkirchen findet sich – oft unter dem Altar – die Darstellung jener „armen Seelen“, die im Fegefeuer leiden. Das ist eine erstaunlich eindeutige Interpretation der Feuermetapher. Feuer bedeutet demnach Leiden und dass obwohl Feuer auch für Wärme, Licht, jedoch auch für Zerstörung stehen kann. Eine der ältesten Beschreibungen dieses Gedankens geht auf den alexandrinischen Theologen Origenes zurück, der um 200 gelebt und gewirkt hat. Er hat die Metapher vom Feuer gebraucht, weil er um dessen reinigende Wirkung wusste. Zur damaligen Zeit war dieses Bild Teil des Allgemeinwissens, da jeder den berühmten Satz des antiken Arztes Hippokrates zitieren konnte: „Was Medikamente nicht heilen, heilt das Messer; was das Messer nicht heilt, heilt das Feuer; was aber das Feuer nicht heilt, das muss als unheilbar betrachtet werden.“ (Hippokrates, Lehrsprüche/Aphorismoi VII, 87)

Es steht also gar nicht das barock ins Bild gesetzte Leiden im Vordergrund dieses Gedankens, sondern die Reinigung. So darf auch der deutsche Begriff Fegfeuer in unserer Zeit wohl ruhig zu den Akten gelegt werden, da der lateinische Ausdruck Purgatorium die Sache deutlich besser trifft. Denn diese Reinigung hat ein ganz bestimmtes Ziel. Als Papst Benedikt XII. 1336 mit seinem Schreiben Benedictus Deus die katholische Jenseitsvorstellung normativ ins Wort fasste hat er das Purgatorium unter dem Aspekt des Himmels abgehandelt. Den Himmel stellte er als seligmachende Schau Gottes vor, sodass die Erlösten Gott unmittelbar sehen. Jede Reinigung habe immer das Ziel, zu dieser Vollendung zu gelangen. Wenn wir jetzt bei der räumlichen Metapher „Reinigungsort“ bleiben, kann man sagen: Das Purgatorium hat nur einen Ausgang – die Himmelspforte. Es ist der Zustand der letzten Vorbereitung auf die eigene Vollendung.

Aus dieser Einsicht wird dann die Tragik deutlich, die darin liegt, dass das Purgatorium in unserer Geschichte stets so dargestellt wurde wie die Hölle. Denn es geht nicht um Bestrafung der Verstorbenen, sondern um die Bereitung für die himmlische Herrlichkeit. Dass in dieses Geschehen auch die Frage nach persönlicher Schuld eine Rolle spielt, scheint selbstverständlich. Aber es zeigt auch, dass sich hier ein Menschenbild Ausdruck verleiht, das nicht am Individualismus hängt. Der Mensch wird in all seinen Beziehungen gesehen und es wird deutlich, dass auch diese Beziehungen der Heilung bedürfen. Was passiert, wenn jemand stirbt, aber mit einem eng vertrauten Menschen unversöhnt bleibt? Was ist, wenn jemand noch immer unter den Taten eines Menschen leidet, der schon verstorben ist? Können wir dann sinnvoll denken, dass dieser Mensch schon in Gottes Herrlichkeit lebt, so als ob es keine Rolle spielt, was man im Leben getan hat? Ich glaube nicht. Der Gedanke des Reinigungsortes sieht im Menschen ein zutiefst soziales Wesen und kommt zu dem Schluss, dass Heiligkeit nicht nur eine vollkommene Beziehung zu Gott meint, sondern auch zu dessen Abbildern.

So zeigt sich, dass die Lehre vom Purgatorium den Menschen in seiner Vielschichtigkeit in den Blick nimmt und seine Beziehungen zu anderen Menschen nicht aus seiner Beziehung zum lebendigen Gott ausklammert. Aber diese Lehre ist vor allem Ausdruck des katholischen Heilsoptimismus. Der Gedanke des Purgatoriums hält gerade in Zeiten von Selbstoptimierung und Perfektionismus eine besondere Botschaft für uns bereit:

Du musst nicht perfekt sein, damit Gott dich vollkommen macht.